Wird die Schwarze Szene von Hipstern unterwandert?

Vor einiger Zeit waren wir bei einem kleinen, feinen Konzert der Bands Qual und Smittness. Zu den Bands will ich hier nicht viel sagen, außer, dass erstere eine Mischung aus Oldschool-EBM, Industrial und einer Prise Aggrotech spielten, letztere hingegen eine Art Cold-Wave-Pop, wie eine etwas verträumtere Version von Hante. oder Keluar.

Gegenstand dieses Posts sollen jedoch weniger die Bands (oder das Konzert als solches), sondern vielmehr das Publikum (schätzungsweise etwa dreißig bis fünfzig Leute) sein: es bestand mindestens zur Hälfte aus dem, was ich vom Aussehen her als Hipster beschreiben würde, ein Teil von ihnen war wohl in seiner Funktion als Freunde der Musikerin von Smittness dort.

Mir drängte sich ein Gedanke auf, der dann sowohl von Mina als auch von anderen Besuchern im Gespräch mir gegenüber geäußert wurde:

„Die Schwarze Szene wird von Hipstern unterwandert!“

Innerlich sprang dabei natürlich sofort der alte Abwehrreflex an, der Fremden das Eindringen in die eigene Gruppe verwehren will, und der gerade in der Schwarzen Szene verbreitet ist und sich gegen alles und jeden richtet, der als Bedrohung der eigenen Gruftigkeit und Trueness wahrgenommen wird. Seien wir ehrlich: die meisten von uns halten Hipster für das Böse unter der Sonne, eine Perversion von allem, was uns heilig ist, Trendhuren, ein Krebsgeschwür, dass sich einfach an den Codes unserer Szene (die Farbe Schwarz, bestimmte Frisuren, Tattoos etc.), unserer Musik und unserem Individualismus bedient, ohne uns dabei den nötigen Respekt zu zollen. Kurz gesagt: Hipster sind der Feind.

Nachdem mein innerer Bluthund aufgehört hatte, wild geifernd um sich zu beißen, stellte ich mir dann doch noch die Frage, woher dieser Eindruck kommt und ob er überhaupt stimmt:

Werden wir wirklich unterwandert?

Definieren wir doch erst einmal den Begriff der Unterwanderung als das Eindringen in eine Gruppe oder Szene mit dem Ziel der Veränderung oder Zersetzung derselben.
Den oder die Hipster (bzw die Hipster-Szene) will ich hier nicht umfassend definieren (das wurde bereits anderswo getan und ist auch mangels sozialwissenschaftlicher Kompetenz meinerseits nicht ohne weiteres wirklich umfassend und korrekt möglich), sondern nur die Beobachtungen schildern, die mich dazu brachten, die Besucher als solche einzustufen: mehrheitlich weiblich, Birkenstocks oder weiße Sneaker (oder zumindest Sneaker mit weißen Sohlen), Frisuren bei denen Pony und Mini-Dutt eine entscheidende Rolle spielen (alternativ: irgendwie bunt gefärbter Undercut), Leggings oder Karottenjeans, Pullover und Cardigans, die möglichst weit sind und mit geometrischen Mustern und/oder Farben aus dem Spektrum der Signalfarben spielen, kurz: Klamotten, die man so aus den frühen 90ern kennt. Wobei auffiel, dass die Trägerinnen vermutlich nicht alt genug waren, die frühen 90er selbst bewußt miterlebt zu haben, denn wer die frühen 90er selbst erlebt hat, würde sich wohl eher selbst einen Fuß abkauen, als die 90er noch einmal als modisches Vorbild zu verwerten. Die Musikerin von Smittness passte übrigens optisch auch dazu.

Wie kommen nun also all die Hipster auf ein Konzert, das sonst vermutlich eher die Schwarze Szene anspricht? Hier dürfte die oben angesprochene Cold-Wave-Pop-Musik von Smittness eine Rolle spielen, sowie der Fakt, dass Qual ein Nebenprojekt von William Maybelline ist, der sonst bei Lebanon Hanover für die Musik zuständig ist, welche ebenfalls Post Punk und Cold Wave als Hauptbetätigungsfeld haben.Post Punk und Cold Wave standen historisch gesehen am Anfang der Schwarzen Szene und waren einer der Haupteinflüsse bei deren Entstehung, verschwanden aber im Lauf der späten 80er und dann der 90er Jahre größtenteils in der Versenkung. Das Revival dieser Genres in den letzten Jahren wurde meiner Meinung nach aber unter Anderem auch von der Hipster-Szene ausgelöst, die bei ihrer Suche nach Dingen, die man „ironisch“ feiern konnte, neben Schreibmaschinen, Bärten und Holzfällerhemden (ein Relikt der Grunge-Szene der frühen 90er) auch Bands wie Joy Division (wohl wegen ihrer ikonischen Plattencover, die auch auf T-Shirts und Jutebeuteln gut aussehen) aus der (Szene-)Versenkung zurück in den Mainstream hob, und in der Folge damit auch wieder verstärktes Interesse in der Schwarzen Szene selbst hervorrief, so dass eine Menge junger, neuer Bands diese alten Einflüsse aufgriffen und neu verarbeiteten. Und das mit beachtlichem Erfolg.

Wir verdanken also im Grunde auch den Hipstern aktuelle Lieblinge der Schwarzen Szene wie Lebanon Hanover, Selofan, Soft Kill, Ash Code oder Keluar.

Ist das also nun eine „Unterwanderung“? Im Sinne der oben genannten Definition wohl eher nicht, denn in der Vergangenheit wurden schon andere Einflüsse (z.B. Mittelalter, Steampunk, Metal) in die Szene assimiliert, ohne diese nennenswert zu (zer-)stören.

Ein Merkmal (nicht nur) der Hipster-Szene ist starke Abhängigkeit von Trends, die meiner Meinung nach stärker als in der Schwarzen Szene ausgeprägt ist. Zudem sind die vielen Auswüchse der Hipster-Szene schon längst wieder vom Mainstream assimiliert worden, anders als die meisten Merkmale der Schwarzen Szene. Aus meiner Sicht haben wir daher derzeit zwar eine musikalische Überschneidung, die sich aber langfristig wieder auflösen wird, sobald die Hipster-Szene sich anderen, neuen Trends zuwendet.

Ob das abgesehen von einer etwas breiteren Musikauswahl Spuren in der Schwarzen Szene hinterlassen wird, bezweifle ich aber: Ich kann mir einfach keine Grufties in weißen Sneakern und Holzfällerhemd vorstellen.

 

Das war es von mir,

Euer Victor von Void!

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