Warum populäre Musik immer trauriger wird – Ist das nicht unser Ding?

Nichts Böses ahnend und vom Drang der Suche nach einfachster Zerstreuung getrieben, scrollte ich neulich durch meine YouTube-Playlist, da ploppte doch in den endlosen Weiten meiner Empfehlungen ein Video mit dem Titel „Warum Musik immer trauriger wird“ auf. Damit hatte Simplicissimus, ein YouTube-Kanal, der im Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen essayistische Videos zu popkulturellen Themen verbreitet, meinen Klick quasi sicher.

Nachdem ich also meine schon beinahe pathologische Abwehrhaltung – frei dem Motto: Was soll denn das jetzt bitte? Der Mainstream möge sich doch aus den unserer Musik und Subkultur eigenen Thematiken und überhaupt der melancholischen Grundstimmung heraus halten und seinen eigenen Kram machen! – niedergekämpft hatte, schaute ich mir das Video dann natürlich doch an.

Die Grundlagen der Behauptung

Eine Studie kurz zusammen gefasst, die das Video aufgreift: Untersucht wurden 160.000 populäre, also einer breiten Masse zugänglich gemachte, englischsprachige Songs, die zwischen 1965 und 2015 veröffentlicht wurden. Der Fakt, dass die Texte der Popmusik immer „trauriger“ werden, wird hier vorrangig durch die Analyse der Texte und der Konnotation der in diesen verwendeten Wörtern belegt. Es zeigt sich, dass negativ konnotierte Wörter zunahmen, positive abnahmen. Weitere Studien werden in dem Video erwähnt, die die These ebenfalls stützen.

Begründungsversuche und meine Interpretation

Und warum ist das nun so? Das weiß man nicht, denn die Ergebnisse der Studie sind gemischt. Eine Vermutung ist, dass erfolgreiche Songs in ähnlicher Weise von anderen Künstlern kopiert werden, um auf den Erfolgszug aufzuspringen. Eine weitere ganz ähnliche, dass Songs von Künstlern, die ein hohes Ansehen geniessen (und somit auch gutes Geld mit ihren Werken verdienen), ebenfalls häufig von anderen in ähnlicher Form kopiert werden. War also ein trauriger Song ein Hit, werden weitere traurige Songs produziert. Sind die Werke eines angesagten Künstlers zufällig auch traurig, kann davon ausgegangen werden, dass mehrere Songs dieser Art entstehen.

Eine weitere Vermutung, die in der Studie näher betrachtet wurde, ist eine psychologisch basierte: es gibt im Mainstream schlichtweg eine zunehmende Präferenz für negativen Kontent in der Musik. Die Menschen wollen einfach Songs, die auf die Tränendrüse drücken oder aggressiv sind, die ihnen nichts von einer heilen Welt, der großen Liebe und Blumenwiesen erzählen. Aber warum? Und hier springe ich doch gleich mal auf.

Musik, verstanden als Kulturprodukt, ist ein Spiegel eben jener, eine Reflexion der Kultur, der Gesellschaft, die sie hervorbringt. Eine zunehmende Anzahl negativ konnotierter Wörter in der Musik zeigt die zunehmende negative Grundstimmung dieser Gesellschaft, die ich für offensichtlich halte. Menschliche Einsamkeit und Isolation, Existenzängste aufgrund postkapitalistischer Mechanismen, Pandemien, Leistungsdruck, eine immer stärker wachsende „Self-Care-Industrie“, die uns einreden möchte, dass alles nur eine Frage des „Mindsets“ und jeder seines eigenen Glückes Schmied sei – es gibt genügend Gründe für eine negative Grundstimmung der (westlichen) Gesellschaft und jedes einzelnen Individuums in ihr.

Schön lässt sich die These auch anhand unserer Goth-Subkultur aufzeigen: Schauen wir mal auf die Anfänge und hier einer der Vorzeigebands dieser Zeit: Joy Division. Kaum eine Band spiegelt den Zeitgeist Großbritanniens der späten 70er und frühen 80er Jahre wohl so gut wieder. Und noch etwas kann man zu Joy Division sagen: seit einigen Jahren trenden die Briten wieder. Und zwar im Mainstream. Zufall? Werden potentiell vermarktbare kulturelle Produkte einfach automatisch irgendwann Opfer der Kulturindustrie, ganz im Sinne Adornos? Oder verlangt unsere heutige Gesellschaft diese regelrecht, aus bereits aufgeführten Gründen?

Noch ein paar Gedankenfetzen meinerseits: Vielleicht brauchen wir in unserer „positive thinking“-Gesellschaft, in der Dinge wie schlecht gelaunt sein, krank sein, nicht „erfolgreich“ sein, depressiv sein usw. alle nur eine Frage des Mindsets sind und in der natürlich jeder selbst dafür verantwortlich ist oder zumindest jeder in der Lage ist, etwas daran zu ändern, wenn man denn nur will (Achtung: Ironie), ein persönliches Ventil? Ist dieses Ventil vielleicht der Konsum von entsprechenden Medienprodukten? „Trauriger“ Musik, die uns erlaubt, uns einfach mal in den Unzulänglichkeiten des Lebens zu suhlen? Ganz intim und privat. Für sich allein. Ohne Rechtfertigung. Anwendbar natürlich auch auf andere mediale Produkte, wie beispielsweise Filme oder Games. So wie wir uns in unserer Subkultur mit dem Hören der entsprechenden Musik auch schon seit langem ein „Gesellschafts-Ventil“ geschaffen haben?

Eure Meinung dazu natürlich, wie immer, gern in die Kommentare.

Eure

Mina Miau

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